SCHRIFT

Mit ihren zukunftsweisenden Neuerungen in vielfältigen Lebensbereichen ist die 1909 von einem Industriellen gegründete Siedlung Hellerau ein herausragendes Zeugnis des Industriezeitalters mit internationaler kultureller Bedeutung. Hinter dem „Laboratorium für eine neue Menschheit“ (Paul Claudel, 1912) stand eine Gruppe von Visionären, die als Antwort auf die Industrialisierung auf Initiative des erfolgreichen Möbelfabrikanten Karl Schmidt das Ziel verfolgten, eine Mustersiedlung zu bauen und dabei die Bereiche Städtebau, Wohnungsbau, Ästhetik und Theater zu erneuern. Dabei übertrug der sozial engagierte Unternehmer Herstellungs- und Gestaltungsprinzipien seiner innovativen industriellen Möbelproduktion auf die Planung und den Bau der Siedlung. Das Schema einer an eine Fabrik angeschlossenen Werksiedlung überwindend realisierte er einen für alle Menschen offenen Ort, der zugleich Arbeitersiedlung, Gartenstadt und Künstlerkolonie war. Die Stadtstruktur mit einer menschenfreundlichen Verknüpfung von Wohn- und Arbeitswelt, der licht- und luftdurchfluteten Produktionsstandort, das mit den Konventionen herkömmlicher Theaterbauten brechende Festspielhaus und vor allem die Wohnhäuser gelten als Vorläufer des Neuen Bauens.

Hellerau war eine Pioniertat im nachhaltigen und umweltbewussten Bauen, angefangen mit der gemeinnützigen Trägerschaft über die innovative Gestaltung der Grundrisse und Ausstattung der Häuser bis hin zur kostenbewussten und teilindustrialisierten Bauweise. Den durch Typisierung und Standardisierung geleiteten Rationalisierungsgrundsätzen der Architekten wird geschichtlicher Wert im Streben nach Vereinfachung und Vereinheitlichung im Siedlungsbauwesen zugeschrieben (Hermann Muthesius, 1920).

Hauseingang Grüner Zipfel
(c) Lothar Sprenger

Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Gartenstadt, insbesondere für die Entwicklung des nachhaltigen Städtebaus und den modernen Wohnungsbau, genießt Hellerau als Sachgesamtheit den höchsten Denkmalschutzstatus im Freistaat Sachsen und bewirbt sich um die Aufnahme in die Liste der UNESCO-Welterbestätten. Trotz eines erfolgreichen Managements des Flächendenkmals mangelt es bisher an einer Gestaltungsfibel um die Stätte langfristig zu schützen und die Vermittlung ihrer Werte zu sichern. Die in der Entstehungsphase von den Gründervätern der Gartenstadt durch eine anerkannte Bau- und Kunstkommission vorgelebte Gestaltungsvermittlung lässt sich heute rechtlich in der Form nicht mehr durchsetzen. Große Unklarheiten darüber, wie die über einhundert Jahre alten Häuser und Gärten, aber auch die sorgsam gestalteten Stadträume zu erhalten und den heutigen Bedürfnissen anzupassen sind, tun sich insbesondere bei Modernisierungsvorhaben der Bewohner und nach Eigentümerwechseln auf. Gerichtsprozesse zum Beispiel beim Ausbau der Dächer und der trotz Gehölzschutzsatzung zu beklagende Verlust von Bäumen sowie Klagen der Bewohner über Informationsmangel in Bezug auf die Denkmalschutzauflagen bezeugen dies.

Deshalb soll auf ausdrücklichen Wunsch der Bewohner und der Entscheidungsträger im Amt für Kultur und Denkmalschutz eine Gestaltungsfibel erarbeitet werden, welche die kulturellen Werte der Siedlung vermittelt und als Handreichung und Handlungsanleitung für alle an Baumaßnahmen in der Gartenstadt Hellerau Beteiligten dient. Ausreichend öffentliche Mittel für die Erarbeitung der Fibel sind leider nicht gegeben, obwohl sie ein dringend benötigtes Instrument für eine erfolgreiche und transparente Umsetzung der geltenden Erhaltungssatzung ist. Zusätzlich zur Grundfinanzierung durch das Amt für Kultur und Denkmalschutz unterstützen dankenswerterweise die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, die Wüstenrotstiftung, die Deutschen Werkstätten Hellerau und die Grundbesitz Hellerau GmbH dieses Vorhaben.

Im Gegensatz einer verordnenden Satzung ist das Instrument einer Gestaltungsfibel explizit zur Bewusstseinsbildung und Vermittlung angelegt. In diesem Kontext ist bei der Erarbeitung auch die Einbindung in die Lehre an der Fakultät Architektur vorgesehen. Das Dokument soll über die umfassenden Werte der Siedlung, angefangen vom ideengeschichtlichen Hintergrund, über den öffentlichen Raum, die Gärten bis hin zu den Häusern mit ihren signifikanten Details informieren. Ziel ist die Umsetzung der Denkmalschutzauflagen durch praktische Hinweise für Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu erleichtern und zu fördern. Anhand von vorbildlichen Bau- und Gartendenkmalsanierungen mit gestalterisch und technisch angemessenen Lösungen sollen die Belange des Denkmalschutzes und die gängige Entscheidungspraxis des Denkmalamtes vermittelt werden. Die gegenwärtige Gesetzgebung und daraus abzuleitende Verwaltungsschritte und Fördermöglichkeiten sollen erklärt sowie Hinweise für die Gestaltung von Neubauten gegeben werden. Da die Gestaltungsfibel ein wichtiges Instrument für einen vorbildlichen Erhalt der historischen Siedlung darstellt, kann sie die derzeit vom Förderverein Welterbe Hellerau e.V. initiierte Nominierung Helleraus für das UNESCO-Welterbe erheblich stärken. Nicht zuletzt ist das Projekt somit auch zur Förderung der Attraktivität der Gartenstadt für Touristen relevant.

Die Projektarbeit umfasst neben einer Zusammenstellung der kulturellen Bedeutung der Siedlung und der Charakteristika ihrer Wohnhäuser die Recherche beispielhafter Sanierungslösungen und ihre zeichnerische, fotografische und textliche Vermittlung. Dazu ist über die Plan- und Aktenrecherche hinaus eine fachliche Abstimmung mit Vertretern verschiedener Behörden sowie mit Planern, Handwerkern und Hauseigentümern notwendig. Die Ergebnisse werden für eine Broschüre aufbereitet und im Sommer 2017 den Bürgern von Hellerau öffentlich vorgestellt.

Die Projektarbeit wird federführend von Dr.-Ing. Nils Schinker geleistet. Er ist derzeit Vorsitzender AG Bau im Verein Bürgerschaft Hellerau. Aufgrund umfassender Recherchen zu Hellerau im Rahmen seiner Dissertation sowie als praktizierender Architekt und Denkmalpfleger ist er optimal für das Vorhaben qualifiziert. Mindestens ein weiterer Experte insbesondere zu Welterbebelangen wird das Projekt im Rahmen eines Werkvertrages unterstützen. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Denkmalpflege und Entwerfen der TU Dresden betreut Nils Schinker auch die für das Wintersemester 2016/17 eingeplanten studentischen Forschungsarbeiten. Die Werkberichtsreihe an der Professur wird mit vier Vorträgen zum Thema „Gestaltung im Ensemble – Regeln und Spielräume“ inhaltlich begleiten.

Rückfragen und Anregungen können gern gerichtet werden an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Das Projekt wird gefördert durch:

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